Unsere Klasse SAS 22 planten mit zwei Fachlehrerinnen für den 20.04.2023 eine Fahrt nach Torgau. Für unsere zukünftigen Klienten möchten wir Bescheid wissen, wenn es um Dienstleistungen von Ämtern und Behörden geht. Deswegen war unser erstes Ziel das Landratsamt. Anschließend wurde es politisch – in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau.
Um 9:45 Uhr starteten wir mit der Begrüßung in Schloss Hartenfels. Frau Scheffler und Team erwarteten uns um 10:00 Uhr. Hier erhielten wir einen Überblick bezüglich der vielen Bereiche des Landratsamtes Nordsachsen. Die „Stabsstelle für soziale Vielfalt“ ist für unsere zukünftige Arbeit von besonderem Interesse. Ziel des Teams ist eine bessere Integration von Menschen mit Behinderung, mit Demenz und bei Pflegebedürftigkeit. An Beispielen aus der Praxis wurde uns klar, wie vielfältig die Angebote sind und man ganz konkret hilft. Neben dem beruflichen Aspekt könnte das für jeden von uns auch privat einmal wichtig sein.
Nach dem theoretischen Teil machten wir praktische Übungen. Durch Perspektivenwechsel konnten wir am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt mit einer Beeinträchtigung zurechtzukommen. Zum Beispiel versuchten wir uns am beliebten Kartenspiel UNO, ausgerüstet mit dicken Handschuhen, schalldichten Kapselgehörschutz und teilweise abgedunkelter Brille. Das alles simuliert körperliche Beeinträchtigungen von Menschen, die Dinge nicht gut greifen können. Die Unterdrückung der Geräusche zeigte uns, wie es ist, wen man sehr wenig hört und welches Verhalten daraufhin folgt. Die Spezialbrille machte uns hautnah klar, wie wichtig es ist sehen zu können, weil es sehr schwer ist, wenn man nichts richtig sieht.
Das waren sehr eindrucksvolle Erlebnisse und alle unser Fragen wurden ausgiebig beantwortet. Natürlich mündete das in ein sehr positives Feedback an die Mitarbeiterinnen Frau Scheffler, Frau Sonntag und Frau Richter. Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihr Engagement.
In der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof ging es um 13:00 Uhr weiter. Frau Hofmann zeigte uns eine Präsentation über die Heimerziehung in der DDR. Wir erfuhren einiges über das Erziehungssystem in der DDR und was man unter „Umerziehung“ verstand. Der Grundgedanke war, jeder Mensch sei erziehbar, besonders Kindern und Jugendliche. Das Ergebnis sollte die sozialistische Persönlichkeit sein. Das mag sich zuerst mal ganz gut anhören. Doch waren wir zutiefst geschockt und getroffen, als uns klar wurde, was hier „Erziehung“ sein sollte. Das passt überhaupt nicht zu unserem fachlichen Verständnis von Erziehung. Wir erfuhren von fürchterlichen Strafen, die hier in großem Stil auf der Tagesordnung standen. Diese grausamen Taten wurden verschleiert, gelangten nicht an die Öffentlichkeit und es gab auch keine Kontrollen unabhängiger Stellen. Sexueller Missbrauch, psychische und körperliche Gewalt wurde einfach verschwiegen. In den Briefen an ihre Eltern durften die Kinder nicht die Wahrheit schreiben, sondern waren gezwungen die Geschehnisse dort gut darzustellen.
Am Beispiel des Jugendwerkhofes konnten wir hautnah erfassen, was es für den einzelnen Menschen bedeutet, unter diktatorischen Bedingungen zu leben. Viele unserer Mitschüler*innen streben an als Erzieher*innen tätig zu werden. Da war das Thema an diesem Ort besonders eindrücklich. Es heiß doch Erziehungsanstalt und nicht Gefängnis? Im Hinblick auf unsere Zukunft in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen blieben zutiefst betroffen mit unseren Fragen zurück, wie z.B.: Wie kann man eine so bedeutsame Arbeit derartig schlecht ausführen?“ und „Wie kann es sein, dass diese Menschen bzw. Erzieher im Nachhinein nicht zur Rechenschaft gezogen wurden?“ und „Gab es die Einsicht, dass es ganz furchtbar falsch war, was hier geschah?“ was aus den Kindern wurde, ist teilweise bekannt. Viele konnten aufgrund psychischer und körperlicher Langzeitschäden nie richtig ins Arbeitsleben einsteigen. Schicksale mündeten im gesellschaftlichen Aus und in Obdachlosigkeit.
Dar Satz „Ich bin als Menschgeboren und will als Mensch hier raus!“ welcher in eine Zellenwand eingeritzt war, ließ uns alle entsetzt zurück. In dem Moment war jedem klar, dass in diesem Jugendwerkhof in Torgau die Jugendliche schreckliche Angst erleiden mussten, sie kommen dort nicht mehr als Mensch raus.
Mich verfolgen die unbeantworteten Fragen: „Warum hat es niemand gemerkt?“, „Sind Jugendliche rausgekommen, die ohne psychische und physische Probleme leben konnten/können?“ und „Ist derjenige, der diese Worte eingeritzt hat wieder als „Mensch“ zu Hause?“
Mein Dank geht an alle, die unserer Klasse die Möglichkeit zu diesen vielfachen Erkenntnissen und Erfahrungen verholfen haben.
Emily Hummel, Klasse SAS 22 mit Bildern von mehreren Teilnehmenden